„Lady Day“ war der Spitzname des musikalischen Ausnahmetalents Billie Holiday (1915-1959), dem der US-amerikanische Autor Lanie Robertson (Jahrgang 1936) in seiner biografischen Musical-Jazz-Show „Lady Day at Emerson’s Bar and Grill“ ein Denkmal gesetzt hat. Die höchst sehenswerte aktuelle Produktion des Vienna Theatre Projects im Theater Drachengasse zeichnet nun den bemerkenswerten Lebensweg der großen Sängerin nach.
Das Publikum lernt Billie Holiday an einem Abend des Jahres 1959 kennen: In Emerson’s Bar and Grill, einem Klub in familiärer Atmosphäre in Philadelphia, gibt sie, nur vier Monate vor ihrem tragischen Ableben, eines ihrer letzte Konzerte. Trotz aller Widrigkeiten, die Eleanora Fagan (so hieß Billie, bevor sie ihren Künstlernamen angenommen hatte) in ihren 44 Lebensjahren ertragen musste, gibt sie sich kämpferisch, stark und ungebrochen ihrem Wunsch zu singen hin.
Robertsons Stück für vier Mitwirkende – Billie Holiday wird auf der Bühne von einer dreiköpfigen Band begleitet – lässt das Leben und Wirken der großen Künstlerin anhand von biografischen Erzählungen Revue passieren. „Lady Day“ schildert dem Publikum ihren Werdegang, den sie unbeirrbar beschritten hat: aus verheerenden Familienverhältnissen stammend (ihre Eltern waren noch Teenager bei Billies Geburt, als ihr Vater gilt der Jazz-Musiker Clarence Halliday) arbeitete die Tochter ebenso wie ihre Mutter Sadie eine Zeit lang in einem Bordell. Als Billie später im Verlauf ihrer Karriere den Spitznamen „Lady Day“ erhielt, wurde Sadie Fagan als „The Duchess“ („Die Herzogin“), als Mutter einer Lady, tituliert. Trotz aller Belastungen standen Billie und Sadie einander sehr nahe.
„Lady Days“ Lebensweg, von den problematischen Beziehungen zu ihren Ehemännern bis hin zu den Reminiszenzen an künstlerische und kommerzielle Erfolge – Billie Holliday arbeitete unter anderen mit Duke Ellington, Teddy Wilson und Count Basie zusammen – wird von einem Reigen ihrer herausragenden Lieder umrahmt. Regisseurin Joanna Godwin-Seidl hat das Stück in pausenlosen 90 Minuten zu einem kraftvollen Porträt einer Unbändigen verdichtet. Berührend, aber auch oftmals mit einer Prise Humor, erlebt das Publikum eine zwischen Zuversicht und Verzweiflung schwankende Protagonistin, die immer wieder Halt in Alkohol und Drogen gesucht hat, jedoch auch Trost in ihrer Musik und im Kontakt mit ihrer Zuhörerschaft findet. Nicht ausgespart werden auch Billies Erfahrungen rassistischer und frauenfeindlicher Natur als schwarze Sängerin in einer von Weißen dominierten (Musik-)Welt.
Lynne Ann Williams verkörpert Billie Holiday auf der Bühne der Bar & Co-Spielstätte (die auch den idealen Rahmen für dieses Stück zu geben scheint) mit außerordentlichem Charisma und ebensolcher Präsenz. Es gelingt ihr, die vielen Facetten der Künstlerin sowohl gesanglich wie auch schauspielerisch detailreich herauszuarbeiten. Sehr berührend stellt Williams den Augenblick dar, als Billie Holiday auf einer Tournee via Ferngespräch vom Tod ihres Vaters erfährt. Großartig gerät auch die Interaktion mit dem grandios musizierenden Fagner Wesley Trio – Fagner Wesley mimt Billies Verlobten Jimmy Monroe, ihm zur Seite stehen als Musiker Michael Acker am Bass und Jonatan Sarikoski am Schlagzeug. Laura Mitchell hat das Ensemble im passenden 50er-Jahre-Stil eingekleidet.
Fazit: Nach „Nina Simone: Four Women“ von Christina Ham ist auch diese Produktion des Vienna Theatre Projects wieder einer beeindruckenden Persönlichkeit aus der Welt der Musik gewidmet, die beispielhaft für ihre Zeit gewirkt hat. Absolut sehenswert!
Lanie Robertson: „Lady Day at Emerson’s Bar and Grill“, eine Produktion des Vienna Theatre Projects, bis 26. Februar 2022 im Theater Drachengasse (1., Drachengasse 2, Beginn: jeweils 19.30).
Weitere Informationen: www.viennatheatreproject.com, Karten: www.drachengasse.at