Wer heutzutage die Praterstraße entlangschlendert, vermag sich kaum vorzustellen, welche Kulturoase die einstige Jägerzeile war. Das Carltheater, an dessen Standort sich seit den 1970er Jahren das Bürohochhaus „Galaxy“ (Praterstraße 31) befindet, die „Jüdischen Künstlerspiele“ im Nestroyhof (Nr. 34) direkt gegenüber, die Rolandbühne (Nr. 25) und viele andere Vergnügungsstätten (wie der Zirkus Renz) und Kaffeehäuser im Grätzel zwischen Taborstraße und Praterstern sowie im Prater selbst zogen das Publikum in Scharen an.
Im Juni des Jahres 1889 präsentierte sich ein neues Ensemble der Öffentlichkeit – die Budapester Orpheumgesellschaft, deren Mitglieder ursprünglich in den verschiedensten Orpheum-Etablissements in Budapest auftraten. Auf dem Programm standen Couplets, Operettenarien, Wiener Lieder, Tanznummern, Parodien, Lieder in ungarischer Sprache und Soloszenen, dazwischen konnten die Zuschauer Getränke und Speisen konsumieren. Im selben Jahr wurden erstmalig auch einaktige Possen zur Aufführung gebracht.
Die „Budapester“ tingelten umher und bespielten danach für mehr als zwei Jahrzehnte Säle in den Hotels „Zum Schwarzen Adler“, „Stephanie“ und „Central“ in der Taborstraße. Im Jahre 1913 bezog das Ensemble eine neue Wirkungsstätte – eine für die Truppe eigens errichtete Bühne im Gebäude in der Praterstraße 25 (wo sich bis vor Kurzem eine Supermarktfiliale befand). Bereits im Jahr davor wurde ein junger Schauspieler unter Vertrag genommen, der sich zum Charakterdarsteller emporarbeitete: Hans Moser! ¹
„Dalles & Dowidl“: profund recherchierte Collage zum Nachdenken und Schmunzeln
Einen spannenden und lebendigen Streifzug durch die Welt des jüdischen Unterhaltungstheaters der Jahrhundertwende in der Leopoldstadt präsentiert das Ensemble „Tinte & Kaffee“ mit seinem Programm „Dalles & Dowidl“ im Café Landtmann. Angereichert mit Texten von Joseph Roth, Sigmund Freud oder Theodor Herzl entsteht ein dichte, profund recherchierte Collage (Regie und Textauswahl: Christoph Prückner), die viel Gelegenheit zum Nachdenken und Schmunzeln bietet.
Einem fünfköpfigen Ensemble (bei der Premiere waren mit dabei: Eva Agai, Eva Bruckner, Elisabeth Seethaler, Andreas Kosek und Christoph Prückner) gelingt in einem minimalistischen Bühnenbild (zwei Tische, Sessel, ein Garderobenständer) und wenigen Requisiten eine sehr ausdrucksstarke Darbietung. Prückner liefert mit seiner Textauswahl auch wesentliche Einblicke in die schwierigen Lebensumstände der jüdischen Bevölkerung: Joseph Roth (1894 bis 1939) beschreibt in seinem Essay „Juden auf Wanderschaft“ aus dem Jahr 1927 die Repressalien, denen Ostjuden in der Leopoldstadt ausgesetzt waren, bei der Ankunft im Meldeamt, beim Hausieren in den Cafés oder im Wohlfahrtsbüro.
Im zweiten Teil der Aufführung steht die „Klabriaspartie“ im Mittelpunkt – ein Einakter aus der Feder von Adolf Bergmann, uraufgeführt im Jahre 1890 von der Budapester Orpheumgesellschaft. In einem jüdischen Kaffeehaus in der Leopoldstadt treffen die Stammgäste Simon Dalles und Jonas Reis sowie der Kibitz Dowidl Grün (von diesen Figuren leitet sich auch der Name des Programms ab) auf den Böhmen Prokop Janitschek, den sie zu einer Partie Klabrias einladen. Missverständnisse und amüsante Verwicklungen während des Spiels sind die Folgen.
Wer sich für jüdische Theaterkultur und/oder für die Bezirksgeschichte der Leopoldstadt interessiert, wird sich über ein Füllhorn an Heiterem und Historischem freuen. Ein Abend, der so viel Substanz beinhaltet, dass sich auch ein zweiter Besuch lohnt!
„Dalles & Dowidl“ steht noch drei Mal auf dem Spielplan des Ensembles „Tinte & Kaffee“ im Café Landtmann: donnerstags am 18. und 25. August sowie am Sonntag, den 11. September.
Weitere Informationen: www.tinteundkaffee.at
¹ Vgl.: Wacks, Georg: Die Budapester Orpheumgesellschaft. Ein Varieté in Wien 1889-1919. Wien: Holzhausen, 2002.