Die Freie Bühne Wieden feiert heuer im Dezember ihr 40-jähriges Bestehen, und zum Saisonauftakt setzte Direktorin Michaela Ehrenstein einen Klassiker der österreichischen Literatur des Fin de Siècle auf den Spielplan: die Tragikomödie „Das weite Land“ von Arthur Schnitzler, die in der Inszenierung von Gerald Szyszkowitz bereits im Juni – im Rahmen der Sommer Spiele Schloss Hunyadi in Maria Enzersdorf – zu sehen war.
Uraufgeführt am Wiener Burgtheater im Jahre 1911, zeigt das Stück eine Vielfalt an zeitlos gültigen Befindlichkeiten der menschlichen Seele und ihren Untiefen auf, wenngleich auch Duelle heutzutage nicht mehr an der Tagesordnung stehen und sich das gängige Rechtsbewusstsein zu Ehebruch und Satisfaktion grundlegend gewandelt hat.
Szyszkowitz hat mit seinem glänzenden Ensemble die vielen Facetten der unterschiedlichen Charaktere detailliert herausgearbeitet und lässt der Wirkung von Schnitzlers Sprache breiten Raum. Die minimalistisch eingerichte Bühne – einige Korbsessel und eine Bücherablage reichen zur Andeutung des Gartens der Villa Hofreiter in Baden bei Wien, Tische und Sessel stellen die Halle des Hotels am Völser Weiher in Südtirol dar – ist der Schauplatz mannigfaltiger Begegnungen.
Charakterfestigkeit versus Gefühlskälte
Viel Unausgesprochenes steht zwischen dem Ehepaar Hofreiter, das hervorragend von Michaela Ehrenstein und Johannes Terne verkörpert wird. Ehrensteins Genia ist eine charakterfeste, feinfühlige Fabrikantengattin, die die Eskapaden ihres Mannes mit Fassung erträgt. Terne mimt den gefühlskalten Geschäftsmann und verleiht ihm sehr überzeugend geradezu bösartige Züge.
Alfons Noventa liefert eine eindrucksvolle Darstellung des Arztes Doktor Mauer ab, der Hofreiter kameradschaftlich verbunden ist. Die Loyalität des Mediziners endet jedoch abrupt, als Hofreiter seinen jungen Nebenbuhler zum Duell herausfordert.
Christine Renhardt agiert als emanzipierte Anna Meinhold-Aigner, geschiedene Gattin des Hoteldirektors, sehr wahrhaftig. Beeindruckend: Sebastian Blechinger als ihr Sohn Otto, der die Gefühle zu Genia mit seinem Leben bezahlen muss, sowie Wilhelm Seledec als Doktor von Aigner, der späte Reue verspürt, den Kontakt zu seinem Nachwuchs verloren zu haben.
Berührende Inszenierung mit vielen Zwischentönen
Ein sehr gegensätzliches Paar verkörpern Christina Jägersberger und Felix Kurmayer als Bankier Natter und dessen Frau Adele: Kurmayer glänzt als undurchschaubar-listiger Finanzmagnat, Jägersberger fasziniert als eine Ex-Geliebte Hofreiters, die das schlechte Gewissen drückt, als sie vom einnehmenden Wesen Genias gleichsam überrascht wird.
Anita Kolbert mimt eine umsichtig-rührige Frau Wahl, die ihre liebe Not mit der Tochter im heiratsfähigen Alter hat. Johanna Machart ist eine sehr kokette, die frühe Ehe scheuende Erna Wahl, die schon von Kindesbeinen an den Fabrikanten Hofreiter verehrt, dessen Tennispartnerin sie ist. Für heitere Momente sorgt Pierre Gold als fröhlich polternder Paul Kreindl, der die Tennisgesellschaft immer wieder zu neuen Partien motiviert. René Magul wiederum ist ein sehr in sich gekehrter Hotelportier Rosenstock.
Sehr elegant und opulent wurde das Ensemble mit Kostümen von Barbara Langbein ausgestattet – vom Festtagsdirndl der Frau Wahl bis zu Hofreiters Gebirgsoutfit.
Alles in allem eine sehr berührende Inszenierung (Béla Fischer steuerte die passende Musik bei) mit vielen Zwischentönen, die – nicht nur Schnitzler-Fans – sehr zu empfehlen ist. Spannende Lektüre hält zudem das aufwendig gestaltete Programmheft bereit, in dem Regisseur Szyszkowitz aufschlussreiche Erläuterungen zum Stück und zu den realen Vorbildern einzelner Charaktere liefert.
Gespielt wird noch bis einschließlich 30. September in der Freien Bühne Wieden (4., Wiedner Hauptstraße 60b, Beginn: jeweils 19.30 Uhr).
Weitere Informationen: www.freiebuehnewieden.at