Szenen einer Ehehölle: „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ im Theater Experiment

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„Wer hat Angst vor Virginia Woolf“: Dagmar Truxa (l., Martha), Beate Gramer (Putzi) (Foto: Rolf Bock)

Zu nachtschlafender Zeit kehren Martha und George von einer Party nach Hause zurück. Martha ist die Tochter des Dekans jenes Colleges, an dem George, sechs Jahre jünger als seine Frau, als Geschichtsprofessor lehrt. Die ohnedies schon gereizte Stimmung wird weiter angefacht, als Martha ihrem Mann eröffnet, noch zwei Gäste trotz der späten Stunde eingeladen zu haben: den jungen, aufstrebenden Biologieprofessor Nick und seine Frau Putzi.

George macht aus seinem Ärger bei der Ankunft der Besucher keinen Hehl, und auch das junge Ehepaar fühlt sich zu so später Stunde fehl am Platz in der Wohnung der arrivierten Gastgeber. Die Auseinandersetzungen zwischen Martha und George – sie wirft ihm vor, er hätte als Ehemann und auch als Wissenschaftler versagt – sinken rasch ins Niveaulose, und Nick und Putzi, anfänglich nur peinlich berührt, werden sukzessive ins alkoholgetränkte Geschehen miteinbezogen.

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ (v. l.): Christian Schiesser (George), Beate Gramer (Putzi), Andras Sosko (Foto: Rolf Bock)

Edward Albees vielschichtiges Stück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ („Who’s Afraid of Virginia Woolf?“, uraufgeführt 1962 in New York) hat Erich Martin Wolf im Theater Experiment in der Übersetzung von Alissa und Martin Walser als psychologisch hintergründiges Drama mit feinem Sinn für Zwischentöne angelegt. Es sind die vielen kleinen Gesten, die die komplexe Beziehung zwischen Martha und George ausmachen. Der Titel des Stücks ist eine Anspielung auf das Kinderlied „Who’s afraid of the big bad wolf?“, das im Verlauf der Handlung von den Charakteren immer wieder angestimmt wird.

Dagmar Truxa arbeitet höchst eindrucksvoll eine ganze Bandbreite an offensiven Emotionen heraus: Ihre Martha ist als Tochter des Dekans getrieben zwischen der Bewunderung für den Vater und der Verachtung für ihren Ehemann, der es in ihren Augen nicht geschafft hat, seine wissenschaftliche Karriere voranzutreiben, und der sie zudem nur wegen ihres einflussreichen Herrn Papas geheiratet hätte. Zwischen den Eheleuten steht eine große Lebenslüge – ein gemeinsamer Sohn, der aber nie existiert hat –, die von George an die beiden jungen Besucher verraten wird. Christian Schiesser mimt diesen gefährlich ruhigen, eiskalt agierenden George, der letztlich die Zügel in die Hand nimmt und die anderen Beteiligten vor sich her treibt, beklemmend überzeugend.

Beate Gramer beeindruckt mit einer facettenreichen Darstellung ihrer Putzi: Einerseits ein naives junges Geschöpf, das seinen Ehemann bereits seit Kindertagen kennt und Angst davor hat, Kinder in die Welt zu setzen, zeigt sie sich freilich auch als kalkulierende, sich in den Alkohol flüchtende Ehegattin – die Vernunftheirat von Putzi und Nick kam vorrangig durch eine „hysterische“ Schwangerschaft und das Vermögen ihres Vaters zustande. Anfänglich gelassen reagiert Nick – beachtlich: Andras Sosko – auf die ungezügelten Attacken zwischen seinen Gastgebern, schließlich will der junge Biologieprofessor seine Karriere nicht gefährden. Nicht allzu lange dauert es dann aber, bis er Marthas Verführungskünsten nachgibt und mit ihr die Szene verlässt.

Bühnenbildner Erwin Bail hat für das Quartett adäquat zum Stück ein kühl anmutendes, steril weißes Wohnzimmer geschaffen, das etwaige Behaglichkeit gar nicht erst aufkommen lässt. Eine starke, beeindruckende Regie- und Ensembleleistung!

Gespielt wird bis 23. März im Theater Experiment (9., Liechtensteinstraße 132), dienstags bis samstags, Beginn: 20 Uhr

Weitere Informationen: www.theater-experiment.com

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