
„English only“ lautet das Motto von Kursleiterin Marjan, die im Seminarraum ihres TOEFL-Vorbereitungskurses in Karadsch (im Norden des Irans gelegen) jegliche Anwendung ihrer Muttersprache Farsi verbietet. Die drei Teilnehmerinnen Roja, Elham und Goli sowie ihr Kollege Omid treffen einander drei Mal wöchentlich, um mit Marjans Hilfe ihrem Ziel ein Stück weit näher zu kommen. Das heiß ersehnte Zertifikat soll den Teilnehmern helfen, außerhalb des Irans Fuß zu fassen. Unterschiedliche Motivationen, privater und beruflicher Natur, aber auch die Suche nach Identität verbindet und trennt die Lernenden zugleich. Im Verlauf des Kurses gilt es, mit Niederlagen fertig zu werden, aber auch neue Horizonte dank der neuen Sprachkenntnisse zu entdecken. Nicht zuletzt lernen die vier, wie wichtig Fremdsprachen als Türöffner und als Instrument zur Selbstermächtigung sind.
Pulitzer-Preis 2023
Mit „English“ präsentiert das Vienna Theatre Project ein mit dem Pulitzer-Preis 2023 in der Kategorie Drama ausgezeichnetes Stück aus der Feder von Sanaz Toossi. Die US-amerikanische Autorin mit iranischen Wurzeln siedelt ihr Stück 2008 an, in jenem Jahr, als Parlamentswahlen im Iran stattfanden, die mit einem Sieg der konservativen Kräfte endeten und erneute internationale Sanktionen gegen das Atomprogramm zur Folge hatten. Das Regie-Duo Joanna Godwin-Seidl und David Rodriguez-Yanez hat das 90-minütige Stück, das ohne Pause und dafür mit sehr viel Schwung aufgeführt wird, auf die kleine Bühne des Bar & Co.-Raumes im Theater Drachengasse geholt und lässt das Publikum an den Geschehnissen in Marjans Kursraum teilhaben. In kurzen, einprägsamen Szenen erleben Zuschauerinnen und Zuschauer, wie angestrengt sich die Lernenden drei Mal in der Woche mit ihrem Pensum konfrontieren, wie unterschiedlich die Beweggründe sind, überhaupt den Kurs zu besuchen, und welch große Relevanz ein gutes Testergebnis für die Teilnehmer haben kann.

Das Stück gelangt in englischer Sprache zur Aufführung, und gleich am Anfang wird hörbar, dass zwischen dem native English der Bühnensprache und dem Akzent der Lernenden unterschieden werden muss. Das fünfköpfige Ensemble setzt diese Anforderungen grandios und nahtlos um. Sara Zanganeh mimt eine strenge, aber verständnisvolle Kursleiterin Marjan, die ihre Schüler von allen Vorteilen des Fremdsprachenerwerbs nachdrücklich überzeugen will, dabei aber selbst ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Muttersprache Farsi hat. Ino Matsou verkörpert sehr eindringlich Roya, die ihren Sohn in Kanada besuchen möchte, dieser jedoch den Kontakt zu seiner Mutter verweigert. Tamalynne Grants Elham ist die ehrgeizigste Schülerin des Kurses, die mit herrlich verbissener Vehemenz auf den Test hinarbeitet, immerhin winkt eine akademische Karriere in Australien. Tahzara Wurawas Goli widmet sich dem Lernstoff mit herzerfrischendem Elan, ohne dabei den Spaß aus den Augen zu verlieren, während Anillo Sürüns Omid die besten Voraussetzungen mitbringt, den TOEFL-Test mit Bravour zu bestehen. Und so vergehen die Wochen zwischen Grammatikübungen, Lernspielen und dem Übersetzen von Ricky-Martin-Songs sowie Konflikten im Kursraum und dem Aufkeimen zarter Gefühle. Großartig auch die Musik, die der iranische Multi-Instrumentalist und Sänger Kamyab Sadeghi beigesteuert hat, der nach der Premiere ein kurzes, aber wunderbares Konzert gegeben hat.
Insgesamt: eine hervorragende Produktion mit großem Weiterempfehlungspotenzial!
Sanaz Toossi: „English“, eine Produktion von Vienna Theatre Project, bis 17. Oktober 2024, im Bar & Co., Theater Drachengasse (1., Drachengasse 2, Beginn: jeweils 20 Uhr)
Weitere Informationen: www.viennatheatreproject.com, Karten: www.drachengasse.at