
Eine mysteriöse Puppe steht im Zentrum des Geschehens von Frederick Knotts Krimi-Klassiker „Warte, bis es dunkel ist!“. Sam Hendrix, ein junger Fotograf, bekommt sie während eines Fluges von einer Frau überreicht, die ihn ersucht, die Puppe mitzunehmen, um sie später bei ihm abzuholen. Hilfsbereit bringt Sam die Puppe zu sich nach Hause in seine New Yorker Souterrainwohnung, in der er mit seiner Frau Susy, die seit einem Unfall erblindet ist, lebt. Dann überstürzen sich die Ereignisse: Eine Frau, die ursprüngliche Besitzerin der Puppe, wird ermordet aufgefunden. Das Spielzeug gerät ins Visier mehrerer Personen, die allesamt großes Interesse an der Puppe haben, die wiederum jedoch plötzlich unauffindbar ist. Sam verlässt unterdessen die Wohnung, um einem Job nachzugehen, und im Nu herrscht ein Kommen und Gehen in der Hendrixschen Bleibe: Lauter Unbekannte suchen den Kontakt zu Susy, die Unterstützung von der zwölfjährigen Gloria, dem rebellischen Nachbarsmädchen, erhält. Bis die Puppe wieder auftaucht, vergehen bange Stunden, in denen Susy sich couragiert zur Wehr setzen muss…
Gleich vorweg: Die Produktion, die derzeit auf dem Spielplan des Theater Center Forum steht, ist absolut sehenswert, denn zum 200-jährigen Jubiläum der Erfindung der Braille-Schrift ist man den Weg einer barrierefreien Inszenierung gegangen. Christoph Prückner hat sich des Werks des englischen Dramatikers Frederick Knott (1916 bis 2002) angenommen, und auch, wenn man das Stück (uraufgeführt 1966 am New Yorker Broadway) oder die Verfilmung (1967, Regie: Terence Young, mit Audrey Hepburn in der Hauptrolle) bereits kennt, wird man zweifelsfrei in die packende Atmosphäre der Inszenierung gezogen.

Zu Beginn der Vorstellung bleibt die Bühne – für Sehende ungewöhnlich lange – im Dunkeln, und man erahnt zuerst lediglich, was es dann im späteren Verlauf alles zu entdecken gibt. Noch bevor der Vorhang aufgeht, wird der Raum von der markanten, akzentuiert betonten Stimme der Erzählerin Janine Zehe erfüllt, die die Inszenierung mit einer Audiodeskription ausstattet und ihr eine besondere Dynamik verleiht. So erfährt das Publikum (mit und ohne Sehbehinderung) nicht nur, wie die Wohnung von Susy und Sam eingerichtet ist, sondern auch Gedanken zum Geschehen vom einzigen nichtsehenden Ensemblemitglied, eben der Erzählerin selbst. Dank Janine Zehes Ausführungen werden auch die Teile der Wohnung (wie das Schlafzimmer oder die Küche) erlebbar, die vom Zuschauerraum aus verborgen bleiben. Laut Regisseur Christoph Prückner ist die Inszenierung somit eigentlich kein „Schau“spiel mit akustischer Bildbeschreibung, sondern ein bebildertes „Hör“spiel.
Visuelles im Theater neu erfahren
Das übrige Ensemble spielt sich grandios durch die beiden Stückhälften, und in der Pause wird mancherorts gerätselt, ob die Hauptdarstellerin eventuell wirklich blind sein könnte. Elisabeth Kofler brilliert als selbstbewusste Susy Hendrix, die mit einer großen Portion Resilienz ausgestattet ist. Äußerst unerschrocken schlägt sie dem ungebetenen Besuch ein Schnippchen. Ihr zur Seite steht das Nachbarsmädchen Gloria, selbst stark fehlsichtig, das sich von der aufdringlichen Nervensäge (sie erledigt Einkäufe für Susy, schikaniert diese aber zuweilen, da sie heimlich in Sam verliebt ist) zur zuverlässigen „Partnerin in Crime“ entwickelt – eine Wandlung, die Iris Pollak großartig und sehr glaubhaft zu vermitteln weiß. Marion Rottenhofer liefert eine erschreckend gute Darstellung der undurchsichtigen Maggie, einer, wie sie vorgibt, ehemaligen Studienkollegin von Sam. Eben noch höflich und hilfsbereit, zeigt sie im weiteren Verlauf der Handlung plötzlich ein anderes Gesicht. Beeindruckend viele Nuancen ihrer Wandlungsfähigkeit präsentiert Marion Rottenhofer dem Publikum. Exzellent funktionieren das Zusammenwirken und die Interaktionen der drei unterschiedlichen Frauenfiguren und ihrer Darstellerinnen.
Nagy Vilmos glänzt als Detective Carlino, der mit schneidender Stimme versucht, sich Susys Respekt zu verschaffen. Mit sehr intensivem Spiel tritt auch Edward Lischka in Erscheinung, seine Figur, der bösartige Mr. Roat, vereinigt ebenso mannigfaltige Züge. Florian-Raphael Schwarz mimt sehr überzeugend den liebevoll-besorgten Gatten, der die Bewährungsprobe seiner Frau wegen seines abendlichen Arbeitseinsatz fast versäumt. Benjamin Lichtenberg als Polizist (während der Vorstellung zeichnet er für die perfekt getimte Licht- und Tontechnik verantwortlich) sorgt dann zu guter Letzt für heitere Momente. Die Souterrainwohnung hat Bühnenbildner Erwin Bail sehr passend mit schäbigem Schick ausgestaltet, die Kostüme und Ausstattung stammen vom Regisseur und dem Ensemble. Auch die Szenenmusik wurde von Christoph Prückner ganz bewusst ausgewählt – zu hören gibt es Musikstücke von blinden und sehbehinderten Komponistinnen und Komponisten von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert.
Fazit: Ein packendes Stück über weibliche Selbstermächtigung, das erhellende Einsichten in die Lebenswelt sehbehinderter Menschen erlaubt. Eine höchst bemerkenswerte Produktion, die man keinesfalls versäumen sollte – inklusives Theater mit hohem Erlebnis- und Lernwert!

„Warte, bis es dunkel ist“ von Frederick Knott: Zu sehen bis 11. Juni 2025 im Theater Center Forum (Forum I), Porzellangasse 50, 1090 Wien, Beginn jeweils: 19.30 Uhr.
Weitere Informationen: www.theatercenterforum.com
Eine barrierefreie Inszenierung dieser Art habe ich zum ersten Mal trotz langjähriger Erfahrung als Theaterbesucherin erlebt. Einige Diskussionspunkte haben sich ergeben, die ich mit dem Regisseur Christoph Prückner via E-Mail besprochen habe.
Warum wurde die Figur der Susy mit einer sehenden und nicht mit einer sehbehinderten Schauspielerin besetzt?
Christoph Prückner: In Österreich gibt es, soweit wir es in Erfahrung bringen konnten, keine professionelle blinde Schauspielerin bzw. scheint es keine zu geben. Dies hat mit fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten hierzulande zu tun und das wiederum damit, dass im Theater- und Filmbereich blinde Menschen noch viel zu wenig gefragt sind. Bei Menschen im Rollstuhl, mit Trisomie, bei gehörlos Menschen sieht das inzwischen schon anders aus. Da ist die Inklusion auch im künstlerischen Bereich schon um einiges weiter fortgeschritten. Aber im Falle von Blindheit fehlt da noch einiges an Bewusstheit. Hier kann aber zumindest einmal auf das Theater Delphin verwiesen werden, ein inklusives Theater in Wien, das seit etwa zwei Jahren auch einen Schauspiellehrgang für Menschen mit Beeinträchtigungen anbietet. Unsere Sprecherin Janine Zehe wird dort voraussichtlich im Herbst als erste blinde Person teilnehmen.
Warum sind die Fotos, die in der Hendrixschen Wohnung hängen, genauso wie die Zeitung, in der geblättert wird, leer bzw. unbedruckt?
Für die farbliche Gestaltung des Bühnenbilds haben wir in erster Linie auf eine Basisfarbe zurückgegriffen, die für Sehende am ehesten als „Nicht-Farbe“ durchgeht, nämlich Grau. Die Blumen in der Vase sind allerdings so bunt, wie Blumen eben sind, und das Rotlicht in der Dunkelkammer ist tatsächlich rot. Das hat damit zu tun, dass Susy – wie oben erwähnt – erst spät erblindet ist und deshalb Farben kennt. Glatte Oberflächen mit rein optischen Informationen sind hingegen für sie komplett unzugänglich. Deswegen sind etwa die Fotos an den Wänden und diejenigen, die Sam ihr zu zeigen versucht, genauso wie Zeitungen, Notizzettel oder Briefe in dieser Inszenierung komplett leer – unterscheidbar nur durch ihr Format und die Papiersorte.
Sie nennen Ihre Inszenierung ein bebildertes „Hör“spiel. Was genau verstehen Sie darunter?
Es gibt Orte auf der Bühne (etwa die Küche oder das Schlafzimmer), die nicht einsichtig sind, in denen sich aber auch viele Szenen abspielen. Hier setzen wir Mikrophone ein – wenn eine Figur also den sichtbaren Bereich der Bühne verlässt, wird gleichzeitig der Dialog verstärkt. Das wirkt für sehendes Publikum zunächst irritierend – es ist gewissermaßen das akustische Äquivalent zu einem Kamera-Close-up. Und natürlich spielt der Soundtrack eine große Rolle – sowohl live als auch eingespielt, die Grenzen sind nahtlos und nicht wahrnehmbar. Dinge und Menschen machen Geräusche: Die Rollos quietschen, der Eiskasten brummt, sobald er geöffnet wird, Papiersackerl rascheln, Flüssigkeiten plätschern, der Lichtschalter klickt – viele kleine, oft unauffällige Details, die alles, was sichtbar geschieht, zugleich auch über den Gehörsinn wahrnehmbar machen.
In „Warte, bis es dunkel ist!“ spielt die Lichtgestaltung bzw. -technik eine große Rolle. Welche Überlegungen haben Sie hierzu angestellt?
In unserer Inszenierung gibt es einige Passagen, in denen es auf der Bühne dunkel oder beinahe dunkel ist, denn Susy braucht kein Licht. Licht gibt es eigentlich nur dann, wenn entweder Tages- oder Abendlicht von selber durchs Fenster fällt – oder wenn eine der sehenden Personen auf der Bühne Licht braucht. Um fallweise komplettes Dunkel zu erzielen, greifen wir auf ein Mittel zurück, das schon bei der Uraufführung angewandt wurde: Wir schalten im Saal nicht nur die Stufenbeleuchtung, sondern sogar die Notlichter aus. Es ist ein Phänomen, wie wenig Licht es braucht, wenn die Umgebung komplett finster ist, um immer noch optisch etwas wahrnehmen zu können – was wir in unserer heutigen überhellen Lebensweise gar nicht mehr gewohnt sind. Bei den Proben hat sich herausgestellt, dass, selbst wenn auf der Bühne kein einziger Scheinwerfer brennt, das schummrige, grünliche Leuchten eines Notlichts ausreicht, um immer noch ziemlich genau erkennen zu können, was sich auf der Bühne abspielt.
Der barrierefreie Zugang Ihrer Inszenierung inkludiert auch das Programmheft, das lediglich online erscheint. Was hat es damit auf sich?
Solcherart ist das Programm über den Besetzungszettel via Link in sowohl in Schwarzschrift als auch in Brailleschrift für sehendes wie auch für blindes Publikum gleichermaßen zugänglich. Internetseiten können heutzutage, mithilfe von Braille-Zeile oder akustischer Sprachausgabe, von den meisten blinden Menschen problemlos gelesen werden. Das wäre mit einem Programm in Schwarzschrift nicht gegangen.