Die „Geschichte des beredten Oasenmannes“ aus dem alten Ägypten erzählt von einem Bauern, der unter einem Vorwand um sein ganzes Hab und Gut gebracht wird. Seine Klagen auf Wiedergutmachung verhallen zunächst ohne Resonanz, doch durch die Eindringlichkeit der traurigen Worte wird das Interesse des Herrschers geweckt. Die aufgezeichneten, erneuten, oftmalig wiederholten Reden des Oasenmannes lassen schließlich selbst ein Stück Dichtkunst entstehen.
Ausgehend von dieser altägyptischen Erzählung spürt das Serapions Ensemble in seiner jüngsten Produktion „Lamento Allegro“, die im Odeon ihre Uraufführung erlebte, allezeit gültigen philosophischen Fragen nach. Wie definiert sich Freiheit, wie gelingt ein eigenverantwortliches Leben, was kann und soll Eigeninitiative leisten, inwieweit wird die Gemeinschaft dadurch lebenswerter?
Das zehnköpfige Ensemble auf der Bühne – Julio Cesar Manfugás Foster, José Antonio Rey Garcia, Elvis Grezda, Ana Grigalashvili, Mercedes Miriam Vargas Iribar, Miriam Mercedes Vargas Iribar, Zsuzsanna Enikö Iszlay, Mario Mattiazzo, Gerwich Rozmyslowski und Sandra Rato da Trindade – lässt die unterschiedlichsten Situationen, bildgewaltig inszeniert von Max Kaufmann mit dem Ensemble selbst unter der Leitung von Erwin Piplits und Mario Mattiazzo, entstehen.
Eine Frau und ein Mann transportieren mit mithilfe eines Esels ihre Habseligkeiten. Eine Theatergruppe mit einem voll beladenen Thespiskarren möchte diesen in Bewegung setzen, was aber nicht funktioniert, weil er zu schwer ist. Kurzerhand entwendet die Truppe das Tier und spannt es vor den Karren, der sich sofort viel leichter manövrieren lässt. Aus dem Thespiskarren heraus, der wie ein multifunktioneller, überdimensionaler Zauberkasten anmutet, entwickeln sich die Spiel- und Tanzszenen, die sich teils auf zwei parallel verlaufenden Rollbändern zutragen (Bühne: Max Kaufmann). Großartige Wirkung entfalten Bilder, etwa jene, in denen das Paar über einen Fluss flüchtet, der mit dynamisch bewegten Seilen dargestellt wird. Oder die riesigen Stoffzylinder, die von oben herab hängen und bald darauf den Oasenmann einhüllen. Sehr eindrucksvoll verschwindet am Schluss die Frau durch eine Leinwand, auf die ein Film projiziert wird, und mit ihr der Esel.
„Lamento Allegro“ kommt mit wenig gesprochenem Text aus und präsentiert sich – mit Choreografien von José Antonio Rey Garcia, Julio Cesar Manfugás Foster und dem Ensemble zu mitreissender Musik von u. a. Goran Bregovic, Philipp Glass und Julio Cesar Manfugás Foster, in Kostümen teils aus den Beständen von Ulrike Kaufmann und den hauseigenen Werkstätten –, als Gesamtkunstwerk, das Betrachter zweifellos in seinen Bann zieht. Zauberhafte, poetische Bilder, die zum Staunen einladen, ergeben Tanz- und Bewegungstheater auf höchstem Niveau!
„Lamento Allegro“: Serapions Ensemble im Odeon (2., Taborstraße 10): 1.-4., 8.-11., 15.-18., 22.-25. Mai und 5.-8., 13.-15. Juni, Beginn: jeweils 20 Uhr
Weitere Informationen: www.odeon-theater.at