Freie Bühne Wieden: Verhängnisvolles Ende einer Männerfreundschaft

Veröffentlicht von
WEB_Becket_086
Aus innigen Freunden werden erbitterte Kontrahenten: Philipp Limbach (l.) als Thomas Becket und Marcus Strahl als König Heinrich II. (Foto: Rolf Bock)

Welch Mammutprojekt Michaela Ehrenstein mit der Inszenierung von Jean Anouilhs „Becket oder Die Ehre Gottes“ auf die Bühne ihres Hauses gehievt hat, ist für die  Zuschauerin wohl nur erahnbar. Tatsache ist, dass das in Wien selten aufgeführte Stück – die Uraufführung fand im Jahre 1959 im Théâtre Montparnasse in Paris statt – mit nicht weniger als 18 Schauspielern (eigentlich 19, da die Rolle des Papstes doppelt besetzt wurde) in einer zeitlos aktuellen Umsetzung in der Freien Bühne Wien gezeigt wird.

WEB_Becket_218
„Die Ehre Gottes ist etwas Unbequemes“: Reinhard Hauser (König Ludwig von Frankreich) mit Philipp Limbach (Foto: Rolf Bock)

Regisseurin Ehrenstein setzt ganz auf die Stärke und Wirkung des Textes (Übersetzung: Franz Geiger), der episodenhaft die Freundschaft zwischen dem normannischen König Heinrich II. (Marcus Strahl) und seinem Berater Thomas Becket (Philipp Limbach) sowie deren verhängnisvolles Ende veranschaulicht.

Der vermeintlich kluge Schachzug Heinrichs, seinen engen Vertrauten zum Kanzler und später auch zum Erzbischof von Canterbury zu machen, um die eigene Macht zu stärken und jene der Kirche zu schwächen, misslingt auf der ganzen Linie. Becket emanzipiert sich von den Vorstellungen des einstigen Freundes und entwickelt sich zum kompromisslosen Gottesmann.

Szenen inniger Männerfreundschaft geraten im Verlauf des Stückes zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen zwei erbitterten Kontrahenten. „Die Ehre Gottes ist etwas Unbequemes“, meint etwa der französische König Ludwig zu Becket, der bei diesem um Asyl ansucht. Becket aber verfolgt seine Ziele beharrlich weiter, weil er den unbequemen Weg gehen will. Aus Enttäuschung über die brüske Missachtung seiner freundschaftlichen Gefühle lässt Heinrich seinen einstigen Freund schließlich ermorden.

Gekränkter Machtmensch, kompromissloser Gottesmann

Ehrenstein bespielt nicht nur die Bühne, sondern nutzt zeitweilig auch den Zuschauerraum für Auftritte und Abgänge der Schauspieler und sorgt für kleine Gags zwischendurch, wenn etwa Strahl und Limbach auf Steckenpferden bei der Tür hinausgaloppieren. Das Bühnenbild (Erwin Bail) ist bewusst einfach gehalten, mehr als ein paar multifunktionale Holzwürfel benötigt es nicht. Babsi Langbein hat für das Ensemble historisch anmutende Kostüme entworfen, raffinierte Lichteffekte (Vera Bernhauser) sorgen für die jeweils adäquate Stimmung.

Durch die beachtliche Leistung des gesamten Ensembles entsteht somit ein großes Ganzes: Marcus Strahl ist ein brillanter Heinrich II., dem schmerzlich bewusst wird, dass er sich in seinem Freund getäuscht hat. Eindringlich verkörpert Strahl einen zutiefst gekränkten Machtmenschen, der in seiner Verzweiflung nur mehr die tödliche Rache sieht. Philipp Limbach gefällt als aufrechter Becket, der sich von seiner unbeugsamen Haltung nicht abbringen lässt. Gefasst und erhaben hat Limbach seine Rolle angelegt, mit angemessener Intensität, etwa wenn er seine Geliebte Gwendoline verliert.

WEB_Becket_278
Freien Bühne Wieden: Durch die beachtliche Leistung des gesamten Ensembles entsteht ein großes Ganzes. (Foto: Rolf Bock)

Auch Michael Gert als Erzbischof, Klaus Haberl als Bischof von London, John Fricke als Bischof von York, Ulli Fessl als Königinmutter, Birgit Wolf als Königin, Michaela Ehrenstein als Gwendoline, Reinhard Hauser als König Ludwig von Frankreich, Gerhard Dorfer als Papst, Herbert Eigner, Rudi Larsen und Wilhelm Prainsack als Barone, Sebastian Blechinger als kleiner Mönch, Peter Gayer als französischer Baron, Vera Bernhauser als junges Mädchen und René Magul als deren Vater bzw. Mönch – sie alle tragen zum Gelingen des Abends bei.

Jean Anouilhs Klassiker ist ein historischer Stoff in zeitloser Aufmachung und deshalb absolut sehenswert. „Becket oder Die Ehre Gottes“ steht nur mehr bis einschließlich kommenden Samstag, 23. April, auf dem Spielplan (Beginn: jeweils 19.30 Uhr) der Freien Bühne Wieden (4., Wiedner Hauptstraße 60b).

In diesem Sinne sind dem Theater noch viele volle Sitzreihen zu wünschen!

Weitere Informationen: www.freiebuehnewieden.at