Freie Bühne Wieden Es ist ja nicht für immer

Freie Bühne Wieden: Die eigene Endlichkeit und viele offene Fragen

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Freie Bühne Wieden Es ist ja nicht für immer
Freie Bühne Wieden: Stefanie Gutmann, Anita Kolbert, Kurt Hexmann, Barbara Edinger, Georg Müller-Angerer und John Fricke in „Es ist ja nicht für immer“ (Foto: PHILIPPHUTTER.COM)

Mit einer Uraufführung des Schweizer Autors Marc Späni (geboren 1972 in St. Gallen) ist die Freie Bühne Wieden in ihre Herbstsaison gestartet. „Es ist ja nicht für immer“ nennt sich das Stück, das große Fragen aufwirft und dem Publikum reichlich Stoff zum Nachdenken liefert. Victor, 56 Jahre alt, leidet an einer bis dato unheilbaren Muskelerkrankung. Maximal 16 Monate bleiben dem Schwerkranken noch, doch die möchte Victor nicht mit Qualen verbringen. Seine Rettung könnte eine Stiftung sein, die ihren Kunden – gegen eine hohe Geldsumme – anbietet, sie in Kryostase zu versetzen, sie also mittels Kälteverfahren zu konservieren. Solcherart könnten schwerkranke Menschen, sofern die Wissenschaft entsprechende Fortschritte macht, zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgeweckt und geheilt werden. Dazu ist es aber notwendig, den klinischen Tod herbeizuführen, weshalb Victor geplant hat, mit seiner Familie zu einer Sterbehilfe-Organisation ins Ausland zu reisen.

So präsentiert sich die Ausgangssituation des Stücks, an dessen Anfang das Publikum die korrekte wie professionelle Kundenbetreuerin der Stiftung, Michèle (Stefanie Gutmann) kennenlernt, die Victor zu seinem Abschiedsfest einlädt. Die Kryostase ist, von Michèles nüchternem Blickwinkel aus betrachtet, ein Meilenstein in der Entwicklung der Medizintechnik, auch wenn es kein Versprechen auf eine Lebensverlängerung gibt. Kurt Hexmanns Victor ist anfangs noch ein sehr abgeklärter Firmenchef, der mit rationaler Weitsicht die Dokumente unterzeichnet, die die letzten Formalitäten regeln sollen. Mit feinen Nuancen zeichnet Hexmann einen Familienvater, dem nach und nach Bedenken kommen, ob er sich mit seinen eigenen Wünschen im Vorfeld wirklich auseinander gesetzt hat. Ihm zur Seite steht seine Frau Beatrice (Anita Kolbert), die sich längst im Klaren ist, wie alles abzulaufen hat und sich am Abend der Abschiedsparty in die Hektik der Gastgeberin flüchtet, deren vorrangige Sorge es ist, ob die bestellten Brötchen noch rechtzeitig geliefert werden.

Wo sind die Grenzen der Medizin erreicht?

Die erwachsenen Kinder Nadine (Barbara Edinger) und David (Georg Müller-Angerer) hadern mit der Entscheidung des Vaters, der ihnen zweifelsohne sehr fehlen wird. Sehr beeindruckend wird auch der Konflikt zwischen Mutter und Tochter dargestellt, da Letztere nicht verstehen kann, warum überhaupt Freunde zu dem Fest eingeladen wurden, zumal der Abschied ja eine Familiensache ist. Auch David verleiht seiner Trauer Ausdruck, möchte er doch unbedingt, dass sein Vater an seiner Uni-Abschlussfeier teilnimmt. Ralph (John Fricke), der einzige aus dem Freundeskreis der Familie, den das Publikum kennenlernt, nimmt sich kein Blatt vor den Mund und findet deutliche Worte für Victors Entscheidung. Nichts anderes als Geschäftemacherei wäre das, was die Stiftung ihre Kunden anbietet.

Freie Bühne Wieden-Prinzipalin Michaela Ehrenstein hat die Uraufführung des Stücks in einer sehr packenden Inszenierung auf die Bühne ihres Theater manövriert. In Rückblenden schildern die Charaktere die Geschehnisse vor dem Abschiedsfest und geben ihre Gedanken dazu preis. Martin Gesslbauers Bühnenbild zeigt Wohnung und Garten der Familie, praktikabel durch eine Schiebetür getrennt. Das Ensemble (Kostüme: Anaïs Marie Golder) agiert grandios und lässt dem Publikum immer wieder kurze Momente zum Innehalten. Keinesfalls geht es darum, so betont auch die Regisseurin, den körperlichen Verfall eines Schwerkranken nachzuzeichnen. Vielmehr möchte die Inszenierung dazu anregen, sich mit ethisch-philosophischen Fragen auseinanderzusetzen, die die eigene Endlichkeit (und wohl auch jene von lieben Mitmenschen) betreffen. Wo sind die Grenzen der Medizin erreicht? Inwiefern ist dieser Fortschritt erstrebenswert? Und welche Konsequenzen bleiben ungeklärt? Klar ist: „Leichte Kost“ wird hier wahrlich nicht serviert. Doch zweifelsohne ist dieser Theaterabend mehr als sehenswert.

„Es ist ja nicht für immer“ von Marc Späni: Gespielt wird bis 2. November 2024 in der Freien Bühne Wieden (4., Wiedner Hauptstraße 60b), Beginn jeweils: 19.30 Uhr. Am 31. Oktober und am 2. November findet im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch statt.

Weitere Informationen: www.freiebuehnewieden.at