Das Sonnwendviertel in Wien-Favoriten ist um einen Kulturraum reicher, und mit einer fulminanten Premiere wurde dieser im neuen „Gleis 21“, einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt, eröffnet: „Therese“, der zweite und zugleich letzte Roman von Arthur Schnitzler, erschienen im Jahre 1928, wurde von Rita Hatzmann-Luksch für die Bühne adaptiert und stimmungsvoll zur Aufführung gebracht.
Der Abend gleicht fast einem Multimedia-Ereignis (mit Musik und experimentellen Bewegtbildern), in dessen Mittelpunkt das gesprochene Wort steht: Hatzmann-Luksch bewältigt in den rund zwei Stunden (die Pause nicht miteingerechnet) bravourös eine schier unglaubliche Textmenge. Die Schauspielerin und Co-Gründerin des Ensembles21 hat das schicksalhafte Leben der jungen Therese Fabiani, ursprünglich aus gutem Hause stammend, in ein atmosphärisch dichtes Frauenporträt verwoben, das das Publikum in seinen Bann zieht.
Rita Hatzmann-Luksch haucht der Romanfigur als Ich-Erzählerin und einigen, wenigen anderen Rollen auf packende Art und Weise Leben ein, verkörpert den unerfahrenen Backfisch ebenso wie die von zahlreichen Schicksalsschlägen gebeutelte junge Frau. Thereses Weg von Salzburg nach Wien wird in vielen Episoden greifbar nachgezeichnet, ein Dienstverhältnis als Kinderfräulein folgt dem nächsten, in ihren Liebesbeziehungen erfährt Therese kein Glück. Als die junge, ledige Frau schwanger wird, sieht sie sich gezwungen, ihren kleinen Sohn bei einer Bauernfamilie auf dem Land in Pflege zu geben. Viel Raum widmet Hatzmann-Luksch dieser komplexen Mutter-Sohn-Beziehung, die über die Jahre – Sprößling Franz gerät auf die schiefe Bahn – an Dramatik zunimmt.
Mit wenigen Requisiten und kunstvoll eingesetzter Stimmführung gelingt Rita Hatzmann-Luksch ein faszinierendes Frauenporträt, angesiedelt an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, das aber auch heute noch zum Nachdenken und Reflektieren einlädt. Keineswegs unbeteiligt daran sind auch die Kompositionen, die Georg O. Luksch als grandioses Klang-Universum beisteuert. Lukschs Instrumente – Keyboards, Gitarre, Melodika, Lamellophon oder sogar eine Kuhglocke, um nur einige zu nennen – nehmen einen Teil der Bühne ein, lassen aber genug Raum für das gesprochene Wort. Die Musik setzt wichtige Akzente, untermalt die Stimmung und macht Cuts in der Handlung. Erich Heyduck wiederum lässt in seinem Experimentalfilm Szenen aus dem Wien der Jahrhundertwende zu stummen Zeitzeugen werden – optisch stark verfremdet, gerade noch erkennbar, regen die aneinandermontierten Abfolgen von Menschen in der Straßenbahn und im Prater gekonnt die Fantasie an.
Fazit: Nicht nur Schnitzler-Fans werden diesen Abend in vollen Zügen genießen können. Das Ensemble21 hat hier, in einem neuen Kulturraum, den es zu entdecken gilt, ein wahrhaft stimmiges, facettenreiches Frauenporträt geschaffen. Absolut sehenswert!
Wer sich weiter in die Materie vertiefen möchte oder dem Dargebotenen noch einmal lauschen möchte, dem sei das musikalische Hörbuch in Form von zwei CDs ans Herz gelegt. (25,- Euro zuzüglich Versandkosten, zu bestellen unter kontakt@ensemble21.at)
Weitere Aufführungstermine des Ensembles21 im „Gleis 21“:
„Cissy & Hugo a Caracas“, am Mittwoch, 13. November, sowie am Donnerstag, 14. November 2019 (Beginn: jeweils 19.30 Uhr), Musiktheater über Cissy Kraner und Hugo Wiener von und mit Rita Hatzmann-Luksch und Georg O. Luksch mit einem Experimentalfilm von Erich Heyduck
Uraufführung „Der Kleine Prinz“: Mittwoch 27. November (Beginn: 19.30 Uhr), Neubearbeitung mit Musik, es spielen Rita Hatzmann-Luksch, Amélie Sophie Persché und Georg O. Luksch, weitere Termine: 6., 7., 13., und 14. Dezember 2019 sowie 11. und 12. Jänner 2020
Informationen und Tickets: www.ensemble21.at, ticket@ensemble21.at
„Gleis 21“: 10., Bloch-Bauer-Promenade 22, gleis21.wien