Freie Bühne Wieden: Moralisches Gewissen wider Profitgier

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Starke Ensembleleistung (v. l.): Gerhard Dorfer, Anita Kolbert, Klaus Haberl, Michaela Ehrenstein und Alfons Noventa in Matthias Manders „Geheimakte Tripolis“ (Foto: Rolf Bock)

„In der Geschäftswelt ist für Sentimentalitäten kein Platz“, empört sich die Funktionärin jener Bank, die die „Taborwerke“ finanziert. Diese sind als Traditionsunternehmen seit 130 Jahren auf Glaserzeugung spezialisiert – ein neuer Auftrag, der vertraglich sogar von Regierungskreisen abgesegnet wurde und Vollbeschäftigung auf zwei Jahre hinaus sichern soll, sorgt jedoch für Aufregung im Unternehmen.

Statt Glas sollen von nun an Buntmetallteile hergestellt werden, allerdings zu fragwürdigen Zwecken, und diese sollen nach Libyen exportiert werden. In der Firma entfacht sich ein heftiger Disput zwischen den Mitarbeitern, der in einer Auseinandersetzung zwischen Oberbuchhalter Zisser und Betriebsleiter Partl kulminiert.

Ersterer durchschaut alsbald die Pläne der Bankmanagerin und setzt aus ethischem Ansporn heraus alle Hebel in Bewegung, um die Umstrukturierungen zu verhindern und warnt seine Kollegen vor den weitreichenden politischen Folgen. Zweitgenannter kämpft für die Chancen, die sich den Mitarbeitern bieten.

Packende Inszenierung, glaubwürdige Charaktere

Michaela Ehrenstein hat die Uraufführung von Matthias Manders’ „Geheimakte Tripolis“ für die Freie Bühne Wieden packend und mit akkuratem Blick auf den anspruchsvollen Text inszeniert. Der erste Teil des Abends präsentiert sich spannend wie ein Echtzeit-Krimi, nach der Pause wird das Augenmerk zunehmend auch auf die gegensätzlichen Charakterzüge der einzelnen Figuren gelenkt.

Klaus Haberl brilliert als Oberbuchhalter Zisser gleichsam als moralisches Gewissen der Firma: Zisser ist seit 32 Jahren im Unternehmen tätig, will die „Taborwerke“ vor jeglichem Schaden bewahren, agiert aber auch als betroffener Familienvater im Sinne seiner Angehörigen. Grandios stellt Haberl Zissers Dilemma dar, der sich schließlich dank seiner finanztechnischen Beschlagenheit zu helfen weiß.

Bravourös mimt Alfons Noventa Zissers Gegenspieler Partl, der als Betriebsleiter die Kapazitäten der Firma im Auge hat und dem Oberbuchhalter anfänglich energisch Kontra gibt. Michaela Ehrenstein (in der Premierenbesetzung) stellt sehr glaubwürdig Frau Dr. Lohr, die Leiterin der Forschungsabteilung, dar, die hin- und hergerissen ist zwischen dem Einsatz für ihre Wissenschaft und der Aversion gegen die Pläne der Bankerin.

Anita Kolbert liefert eine fulminante Darstellung einer hochmütigen Bankfunktionärin, für die der Profit das höchste Gut ist und die sich von dem eingefädelten Deal auch noch persönliche Karrierevorteile erwartet. Gerhard Dorfer überzeugt als Generaldirektor der „Taborwerke“, der die Unabwendbarkeit der Situation begreift und erkennt, dass er Position beziehen muss.

Ethik und Moral in der Wirtschafts- und Arbeitswelt

Ehrenstein achtet in ihrer Inszenierung auf jedes Detail – ein fein säuberlich beschriebenes Flipchart bildet die Welt des Oberbuchhalters ab, das Endlosdruckpapier in dessen Büro erinnert lebhaft an frühere Jahrzehnte, und nicht zuletzt spiegeln die prächtigen Glasskulpturen auf der Bühne die Atmosphäre der Glasfabrik wider. Auch die Kostüme (Nadelstreif überwiegt!) von Barbara Langbein tragen zum Flair der Aufführung bei.

Manders Stück ist frei erfunden, birgt aber einen realen Hintergrund (die Noricum-Affäre in den frühen 1980er Jahren) und liefert sehr viel Stoff zum Nachdenken – auch heruntergebrochen auf eine alltäglichere Ebene, wenn es um Ethik und Moral in der Wirtschafts- und Arbeitswelt geht. Unbedingt ansehen!

Gespielt wird noch bis einschließlich 29. Oktober (Dienstag bis Samstag) in der Freien Bühne Wieden (4., Wiedner Hauptstraße 60b, Beginn: jeweils 19.30 Uhr).

Weitere Informationen: www.freiebuehnewieden.at

Ein Kommentar

  1. Sehr geehrte Frau Mag.a Anja Schmidt! Erst heute sehe ich Ihre Rezension meiner „Geheimakte Tripolis“ und bin tief beeindruckt davon, wie genau, umfassend und gerecht Ihre Beurteilung ist. Trotz mehrerer sehr guter Kritiken hat keine andere Rezeption unserer Arbeit Ihre Qualität erreicht. Sie werden verstehen, dass der Autor davon beglückt ist. Danke!
    Bitte mailen Sie mir eine Kopie für mein Archiv?
    Ihr dankschuldiger Matthias Mander

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