München III: Auf der Wiesn

Veröffentlicht von

Also, da war ich nun auf der Wiesn. Zum allerersten Mal. Und genau die, die Wiesn nämlich, habe ich nach einem ersten Rundgang gesucht. Von der Theresienwiese selbst ist so gut wie gar nichts zu sehen. Die riesigen Zelte, die Fahrgeschäfte und Schaustellerbetriebe nehmen einen Großteil der Fläche ein. Es ist noch nicht allzu viel los, an diesem Montagvormittag.

Ich schlendere durch die Wirtsbudenstraße. Zelt reiht sich an Zelt. Die Bezeichnung „Zelt“ bekommt hier eine für mich ganze neue Bedeutung. Die größten ihrer Art bieten immerhin einigen tausenden Besuchern Platz. Außerdem ist es eigentlich ein Septemberfest. Am 19. September hieß es bereits „O’zapft is!“, bis 4. Oktober kann auf der 176. Wiesn noch gefeiert werden.

In der Schaustellerstraße entdecke ich den Schichtl, eine Institution auf dem Oktoberfest. Seit 1869 gastiert das „Hinrichtungsvarieté“ auf der Wiesn. Also, da muss ich doch eine Karte erstehen! Nach der Parade der Mitwirkenden auf offener Bühne ist Einlass. Zum Aufwärmen gibt’s den Trick mit der schwebenden Jungfrau und einen Schmetterlingstanz. Und dann wird’s gruselig: Da ist sie, die Guillotine! Unter der Melodie von den „Holzhackerbuam“ betritt Ringo, der Henker vom Schichtl, die Bühne, und mit ihm eine Dame, ganz in Schwarz gekleidet. Ringo lässt seinen Blick über das Publikum schweifen – jetzt kann’s jeden treffen (aber hoffentlich nicht mich). Huh – Glück g’habt, eine junge Dame aus Germering muss dran glauben. Rasch bekommt sie eine schwarze Mütze übergestülpt, darüber hinaus werden auch noch die Augen verbunden. 1, 2, 3 – liegt die vermeintliche Delinquentin auch schon eingespannt auf der Apparatur. Und – zack – ist die Rübe ab! Die Dame in Schwarz hält den abgetrennten Kopf triumphierend in die Höhe. Das Blut trieft herunter. Sie wird doch nicht ernsthaft…? Aber kurz darauf wirkt die junge Dame aus Germering wieder recht lebendig, und ich kann beruhigt weiterziehen.

Die nächste Attraktion erwartet mich in einem Seitenweg. „Floh-Circus“ – ein Traditionsunternehmen aus Nürnberg und seit 1948 auf der Wiesn zu Gast – steht in großen Lettern über der Bude. Auch das möchte ich mir nicht entgehen lassen. Im kleinen Zuschauerraum Platz genommen, geht es auch schon los. Die Artisten, die ihre Kunststücke zeigen werden, sind allesamt weiblich und stammen für gewöhnlich aus einem Labor. Nach einer Art Casting, erklärt der Herr Dompteur („Deutschland sucht den Superfloh“), werden die zirkustauglichsten ausgewählt. Und damit sie nicht ausbüxen, sind die Floh-Damen an einen goldenen Draht angebunden. Mittels einer Lupe, die herumgereicht wird, kann sich jeder davon überzeugen. Zu Beginn zeigt „August der Starke“, wie er/sie ein Wägelchen zieht. Bis zu 38 Gramm, erklärt der Herr Dompteur, kann so ein Floh auf Rädern ziehen, das entspricht dem 5.000fachen seines Körpergewichts. Dann ist „Fridolin“ an der Reihe und jongliert eine schwere Last. „Theodor“ wiederum schießt Kügelchen in ein Mini-Tor – und zwar mit voller Wucht. Respekt! Auch ein Floh aus Wien und noch einige andere Mini-Artisten zeigen ihre Kunststücke. Da die kleinen Künstler – wen wundert’s bei der Anstrengung – auch Hunger haben, dürfen sie drei Mal am Tag Blut saugen.

Amüsiert verlasse ich diesen Schauplatz und schlendere weiter über das Festgelände. Nach einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass die letzten vier Stunden wie im Flug vergangen sind. Noch ein kurzer Rundgang, und dann heißt es „Pfiat di, München!“, ich muss zum Zug… (Erstveröffentlichung: 2009)